Führungsstil im multikulturellen Kontext:

ein Spannungsfeld mit hohem Überschätzungspotential!



Wie sehr nehmen Sie in Ihrem Alltag wahr, dass unsere Gesellschaft hochgradig multikulturell geworden ist? In den vergangenen 60 Jahren hat sich weltweit die Migration stetig beschleunigt und verschärft. Das Wort kommt aus dem Lateinischen «migrare»: wandern, von einem Ort zum anderen ziehen. Während die einen sich entschliessen, freiwillig auszuwandern, meist mit einem festen Ankunftsziel und klaren Plänen vor Augen, haben andere keine Wahl, als aus ihrer Heimat zu flüchten in der Hoffnung, anderswo – wo auch immer sie ankommen - eine stabilere Zukunft aufzubauen. Ausserdem gibt es noch jene, die von ihren Unternehmen ins Ausland geschickt werden, z.B. zu einer Tochterfirma, was in der Regel als Chance auf der Karriereleiter erachtet wird und mit einer eingespielten Auffangstruktur einhergeht.

 

Ungeachtet aus welchem Grund sie ihren Standort verlassen, nehmen all diese Menschen ihre Kultur mit und sehen sich am Zielort mit einer anderen Kultur konfrontiert. Während wir zwischen Migranten, Flüchtenden, Auswanderern oder Expats unterscheiden, haben diese Gruppen eine Gemeinsamkeit, nämlich dass sie aus einzelnen Personen bestehen, die alle mit hochkomplexen Lebensentwürfen und unterschiedlichsten Erwartungen für ein besseres, erfolgreicheres Leben von A nach B gereist sind.

 

Fast kein Land von irgendeiner Form von Migration ausgenommen; auch meine Heimat Schweiz ist ein Einwanderungsland mit hoher kultureller Durchmischung geworden. Beim Wort «Migration» denken wir an politische, wirtschaftliche oder soziale Auswirkungen für jene, die irgendwo ankommen und die Gesellschaft, die sie empfängt. Ferner müssen auch komplexe Systeme mit grenzüberschreitenden Teams oder multikulturellen Zielgruppen erwähnt werden, z.B. weltweit operierende Grosskonzerne sowie Firmen mit internationaler Kundenstreuung.

 

Betrachten wir die Herausforderung, der sich Führungskräfte stellen, die mit der vorherrschenden kulturellen Vielfalt angemessen und konstruktiv umgehen müssen. Wie vereinbart man z.B. die wirksame Führung eines multikulturellen, grenzüberschreitenden Teams mit den quantitativen Zielvorgaben, die auf einer zentralen Ebene gefasst werden? Wie stellt man sicher, dass von Nord bis Süd, von Ost bis West ungeachtet der unterschiedlichen kulturellen Auffassungen von Grenzen und Freiheiten dasselbe Verständnis für die gemeinsame Sache überall und bei allen erreicht wird? Welchen Einfluss hat ein unterschiedliches kulturelles Verständnis auf die Kooperationsbereitschaft und demzufolge auf Unternehmensergebnisse?

 

Will man als Führungsperson in einem komplexen System eine gesunde Disruption schaffen und ein positives Resultat erbringen, führt kein Weg um den kontinuierlichen Best Practice Austausch auf allen Ebenen und respektvollen, inklusiven Umgang mit dem Gegenüber herum, der es allen ermöglicht, voneinander zu lernen. Andererseits wird diese Bereitschaft nur in Erscheinung treten und langfristig zielfördernd bleiben, wenn ihr eine tiefgründige Selbstreflexion, totale Offenheit und eine Portion authentischer Demut seitens der Führungsperson zugrunde liegen.

 

Wie also kommt es dazu, dass trotz aller (theoretischen) Kenntnis dieser Tatsachen, Führungskräfte ihr Wissen und Können in der Praxis so oft überschätzen – meist mit erheblichen Konsequenzen für das Unternehmen? Selbstüberschätzung unter Führungskräften korreliert recht oft, wenn auch nicht zwangsläufig immer mit Hochschulbildung, Rang und Berufserfahrung. Man sagt, dass Selbstüberschätzung eine der häufigsten Ursachen ist, warum Menschen in grossem Stil scheitern. Indem sie Vorsicht und gesunden Menschenverstand vergessen, vertrauen sie darauf, dass sie besser sind, als sie es tatsächlich sind, und nehmen Risiken in Kauf, die sie in Wirklichkeit weder abschätzen noch tragen können. Womit hat es also zu tun? Ist es denkbar, dass eine Herabwürdigung von menschlichen Werten und Bedürfnissen allgemein, ein alles übersteigender persönlicher Ehrgeiz, eine Unfähigkeit zu Kompromissen oder ganz einfach ein Mangel an interkulturellem Verständnis dafür verantwortlich sind und sich das alles letztlich in einem gesamthaft unangemessenen Führungsstil niederschlägt? Was denken Sie?

 

Ich bin überzeugt, dass von all dem das interkulturelle Verständnis derjenige Aspekt ist, der sich lernen und trainieren lässt, angefangen vom Zurückstellen eigener festgefahrener Meinungen und all dessen, was man bisher als selbstverständlich, absolut und gegeben angesehen hat, und dem konsequenten Einführen einer Kultur des Zuhörens und Fragens. Sobald wir mehr voneinander wissen, scheint der nächste Schritt, nämlich Parallelen, Ähnlichkeiten und eine gemeinsame Basis zu finden, nicht mehr weit entfernt, oder? Und würden Sie nicht zustimmen, dass es kaum etwas Wichtigeres gibt?


Ihre Tatjana Gaspar

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